»Ich bekomme viele Schicksale mit, die ich sonst wahrscheinlich nicht gesehen hätte«
Von Das Medinetz Dresden ist ein gemeinnütziger Verein. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen behandelt werden, die von der medizinischen Versorgungslandschaft in Deutschland ausgeschlossen sind. Ich studiere Medizin, gerade arbeite ich in einem Labor. Seit 2018 arbeite ich beim Medinetz Dresden mit. In unsere Gruppe sind 10 bis 15 Menschen aktiv, die meisten Medizinstudenten. Ich bin vor einigen Jahren über Kommilitonen zum Medinetz gekommen, so ist es auch bei anderen im Team. Wir behandeln die Menschen, die sich bei uns melden, nicht selbst, sondern beraten und vermitteln an Ärzte und medizinisches Personal. Wir haben ein breites Netzwerk, das uns unterstützt, darunter Arztpraxen und Krankenhäuser, mehrere Apotheken und ein Labor. Eine große Gruppe sind EU-Bürgerinnen, die aufgrund der Freizügigkeit hier sind, aber gar nicht oder nicht ausreichend versichert sind. Es wenden sich auch Studierende an uns, die aus anderen Ländern stammen, und keine Versicherung für die Basisversorgung haben. Behandlungen von psychischen oder chronischen Erkrankungen, wie Diabetes oder Bluthochdruck, werden also nicht abgedeckt. Immer wieder kümmern wir uns auch um die Betreuung von Schwangerschaften. Dabei kommt es immer wieder zu langen Betreuungsphasen. Einige Patientinnen haben wir bis zur Geburt und bei der Nachsorge begleitet. Wir kümmern uns auch um Menschen, die sich ohne Papiere, also als Illegalisierte, im Land aufhalten und natürlich auch keine Krankenversicherung haben. Seit vorigem Jahr bieten wir auch eine kostenlose medizinische Sprechstunde für wohnungslose Menschen an. In all diesen Fällen bieten wir schnelle, unbürokratische Hilfe bei medizinischen Problemen an. Armut, prekäre Wohn-, Arbeits- und Aufenthaltssituationen spielen in den meisten Fällen eine Rolle. Menschen, die finanziell abgesichert sind, könnten sich als Privatpatienten bei Ärzten melden und Behandlungen auf Rechnung bezahlen. Aber bei uns melden sich Menschen, die das eben nicht können. Das ist sehr wechselhaft. Wir rechnen ungefähr mit zwei Fällen pro Woche. Mal sind die Fälle komplexer, so dass man nicht nur einmal Kontakt hat, sondern länger. Mal geht es nur darum, einen Kontakt zu einem Arzt zu vermitteln. Patienten melden sich telefonisch bei uns. Wir haben eine Kontaktnummer, die 24 Stunden, sieben Tage die Woche besetzt ist. Wir wechseln uns im Team dabei ab. Die Patienten schildern ihre Probleme. Wir vermitteln dann unser medizinisches Netzwerk. Beim Medinetz werden wir durch Spenden unterstützt. Damit werden vor allem Kosten für Medikamente finanziert. Die meisten Ärzten spenden ihre Einsätze, also ihre Behandlungen und ihre Arbeitszeit. Grundsätzlich versuchen wir alle Fälle zu betreuen, die nach der gesetzlichen Krankenversicherung versorgt werden würden. Aber wir sind in unserem Team natürlich zeitlich begrenzt, das heißt wir können nicht alles gleichzeitig übernehmen. Wir versuchen außerdem zu schauen, welche alternativen Möglichkeiten soziale und staatliche Unterstützungssysteme bieten. Wenn Patienten unser Angebot sehr regelmäßig ins Anspruch nehmen, versuchen wir ins Gespräch zu kommen, um langfristig andere Möglichkeiten zu finden. Es gibt zum Beispiel Anlaufstellen, die dabei unterstützen, dass Menschen wieder in einen Versicherungsschutz gelangen. Das beobachten wir natürlich. Die Medinetz-Stellen bundesweit spiegeln in der Zusammensetzung ihrer Patienten auch regionale Besonderheiten wider. Hier in Dresden bemerken wir zum Beispiel die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine und die Migrationsbewegungen aus Osteuropa. Es melden sich mehr Patienten und Patientinnen aus diesen Ländern. Dadurch bekommen wir auch viele Schicksale mit, Lebensgeschichten unter sehr schwierigen Bedingungen. Es ist nicht für jeden das Passende, weil es eben eine recht intensive Arbeit ist. Neben den Beratungseinsätzen treffen wir uns einmal in der Woche zum Plenum. Wir sind sehr basisdemokratisch organisiert, Entscheidungen werden eigentlich immer gemeinsam getragen. Ich bekomme viele Schicksale mit, die ich sonst wahrscheinlich nicht gesehen hätte. Die Arbeit erweitert den Horizont. Mir ist auch die Arbeit in einem Ehrenamt wichtig. Generell ist es nicht so einfach, Menschen dafür zu begeistern. Aber so stelle ich mir vor, wie eine demokratische Gesellschaft funktionieren sollte. Dass man sich solidarisiert und jeder etwas gibt. Das heißt aber gleichzeitig, und darauf würde ich auch gerne pochen, unsere Arbeit sollte eigentlich kein Ehrenamt sein. Denn das, was wir machen, ist eine große Verantwortung. Es gibt inzwischen Angebote, die ähnlich funktionieren wie das Medinetz und staatlich unterstützt werden, etwa der anonyme Krankenschein in Thüringen. Aber das reicht natürlich noch nicht aus. // Das Interview führte Doreen Reinhard. www.medinetz-dresden.org
Foto: Peggy Blume/fotolia.com
Das Medinetz Dresden vermittelt anonym und kostenlos medizinische Hilfe für Menschen, die keinen Versicherungsschutz oder keine Papiere haben. Im Team arbeiten auch Medizinstudenten ehrenamtlich mit, zum Beispiel Liza Soom, 26 Jahre, aus Dresden. Sie erzählt, wie die Arbeit funktioniert und, warum sie sich engagiert...
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